Im Arbeitsrecht kämpft der Arbeitgeber bergauf. Weit verbreitet ist die Auffassung dies liege daran, dass die Arbeitsgerichte stets auf Seiten der Arbeitnehmer stehen. Die Wahrheit ist, dass die Gesetze den Arbeitnehmer schützen und dass der Richter diese Gesetze anzuwenden hat.
Aber die Arbeitsgesetze schützen nicht nur den Arbeitnehmer, sondern auch die finanziellen Interessen des Staates. Steuern und Abgaben knüpfen an die Beschäftigung von Arbeitnehmern an und schon deshalb sind die Regelungen besonders engmaschig. Das ist auch eine Ursache vieler Differenzen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Denn die Kluft zwischen brutto und netto ist inzwischen so groß, dass die Beteiligten sie auch bei bestem Willen kaum noch überwinden können. Viele Arbeitgeber würden ihren Arbeitnehmern gern den einen oder anderen zusätzlichen Euro zuwenden. Aber sie müssen 2 € zahlen, damit 1 € bei dem Arbeitnehmer bleibt, und das dämpft den erstrebten Effekt und damit auch die Neigung mehr zu zahlen.
Die Arbeitsgesetze gewähren dem Arbeitnehmer Mindestlohn, Urlaub, Kündigungsschutz, Beteiligungsrechte und vieles mehr. Aufgrund ihrer Formulierung ist der Arbeitgeber fast immer für seine Position darlegungs- und beweispflichtig. Insbesondere im Kündigungsschutzrecht muss er darlegen und beweisen, dass ein Kündigungsgrund vorliegt. Das hört sich einfach an, ist es aber nicht. So spielen für die Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung wirtschaftliche Gesichtspunkte keine Rolle und auch sonst führt das Arbeitsrecht oft zu unerwarteten Ergebnissen. Kein Arbeitgeber sollte daher ohne vorherige anwaltliche Beratung kündigen.
Insbesondere verhaltensbedingte bzw. fristlose Kündigungen aus wichtigem Grund halten ohne qualifizierte Vorbereitung keinem Gerichtsverfahren stand. Das gilt gerade in den „sonnenklaren“ Fällen, in denen schon der „gesunde Menschenverstand“ nach einer fristlosen Kündigung ruft. Wer dem folgt, unterliegt einem grundlegenden Rechtsirrtum. Der Laie betrachtet die Kündigung als verdiente Strafe für vergangenes Tun, aber diese Auffassung ist dem Kündigungsrecht fremd. Die Kündigung ist nach geltender Rechtsauffassung eine in die Zukunft gerichtete Prognoseentscheidung. Die Prognose bei der verhaltensbedingten Kündigung lautet: „Dieser Arbeitnehmer wird auch zukünftig gegen arbeitsrechtliche Pflichten verstoßen.“
Die Prognose ist begründet, wenn der Arbeitnehmer wegen eines bestimmten Verstoßes bereits abgemahnt wurde und dann denselben Verstoß wieder begeht. Entscheidend ist nicht die Anzahl der Abmahnungen, sondern die Erfüllung der Warnfunktion. Gewarnt ist der Arbeitnehmer, wenn die Abmahnung das ihm vorgeworfene Verhalten präzise beschreibt, eine deutliche Missbilligung ausgedrückt und eine eindeutige arbeitsrechtliche Folge androht. Kaum ein Arbeitgeber ist in der Lage, eine wirksame Abmahnung zu formulieren. Selbst formulierte Abmahnungen sind daher fast immer unwirksam und deshalb wird das Gericht auch die Unwirksamkeit der auf diese Abmahnung gestützten Kündigung feststellen.
Gern bemühen Arbeitgeber dann die Kündigung im Vertrauensbereich und argumentieren: „Nach diesem Vorfall kann ich dem Arbeitnehmer nicht mehr vertrauen.“ Aber auch diese Auffassung kann die Anforderungen an eine wirksame Prognose nur dann erfüllen, wenn dem Arbeitnehmer gravierende Vermögensstraftaten, schwere Beleidigungen oder Gewalt gegen Vorgesetzte nachgewiesen werden können. Aber selbst darauf sollte man sich besser nicht verlassen.
Ein von mir vertretener Arbeitnehmer hatte seinen Vorgesetzten als „größten Arsch, der hier umherläuft“ tituliert, nachdem dieser ihn zuvor mit „Du Strolch“ ansprach. Der Arbeitgeber kündigte fristlos, hilfsweise fristgemäß. Das Arbeitsgericht hielt die fristlose Kündigung nicht für gerechtfertigt, stellte jedoch die Wirksamkeit der hilfsweise ausgesprochenen, fristgemäßen Kündigung fest. Wir haben Berufung eingelegt und die Berufungskammer verwies zu Recht auf das Erfordernis der Prognose. Daran fehlte es, denn zum einen standen spontane Äußerungen im Raum, zum anderen herrschte in dem betroffenen Unternehmen offenbar beiderseits ein lockerer Ton. Da das Berufungsgericht erst fast zwei Jahre nach Ausspruch der fristlosen Kündigung entschied, musste der Arbeitgeber einen satt fünfstelligen Verzugslohn nachzahlen.